Die UX-Conf Belgium fand am 3. Juni in Brüssel statt und brachte ein vielfältiges Publikum aus UX-Experten und Digitaldesign-Experten zusammen, um eine der drängendsten Herausforderungen der Branche zu erörtern: Barrierefreiheit. In einer Keynote und einer Podiumsdiskussion reflektierten die Teilnehmer die menschlichen, organisatorischen und technischen Aspekte der Entwicklung digitaler Erlebnisse, die wirklich alle einbeziehen.
„Eine inklusive Gesellschaft braucht eine vertrauenswürdige Identität“, erklärte Thijs Degheldere, Produktdesigner bei itsme, in seiner Eröffnungsrede. Damit war der Ton für den Abend vorgegeben, der sich darauf konzentrierte, Barrierefreiheit zu einem Eckpfeiler verantwortungsvollen und effektiven digitalen Designs zu machen.
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Keynote: „Wie itsme den Weg für digitale Barrierefreiheit ebnet“
itsme wurde 2017 eingeführt und hat sich zu einer vertrauenswürdigen Identitätslösung entwickelt, die auf über 3,000 Plattformen in 17 Ländern eingesetzt wird. Sie ermöglicht es Menschen, sich bei ihren Banken anzumelden, Zahlungen zu bestätigen und persönliche Daten sicher zu teilen. Thijs präsentierte überzeugende Zahlen: eine Verfünffachung der digitalen Interaktionen mit Behörden, eine Steigerung der Zahlungskonvertierungen um 25 % und eine Reduzierung der Betrugsfälle um 26 % – ein Beweis dafür, dass inklusives Design echte Wirkung erzielen kann.
Doch Statistiken allein machen ein Produkt noch nicht zugänglich. „Jede Designentscheidung kann Nutzer einbeziehen oder ausschließen“, erinnerte Thijs das Publikum. Deshalb hat itsme seine App 2022 von Grund auf neu entwickelt, um die nativen Barrierefreiheitsfunktionen von iOS und Android voll auszuschöpfen. Obwohl WCAG weiterhin eine nützliche Grundlage darstellt, argumentierte Thijs, dass die Einschränkungen einen stärker menschenzentrierten Ansatz erfordern – und zwar APCA, das auf der menschlichen visuellen Wahrnehmung basiert.
Barrierefreiheit bedeutet bei itsme auch, Nutzer mit Behinderungen von Anfang an einzubeziehen, gemeinsam mit Experten zu entwickeln und das Erlebnis nach dem Motto „Weniger ist mehr“ zu vereinfachen. Das Team führte motivierende Elemente ein, um den Nutzen und die Benutzerfreundlichkeit der App, insbesondere für Menschen mit geringen digitalen Kenntnissen, deutlich zu vermitteln.
Zu den weiteren Bemühungen zählen spezielle Forschungsprojekte, etwa zur Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit für Benutzer mit geistiger Behinderung oder zur Ermöglichung der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
Die wichtigste Erkenntnis? Barrierefreiheit sollte nicht als bloßes Kästchen zum Abhaken betrachtet werden – sie ist eine Denkweise, die auf Inklusion basiert. Es geht nicht nur darum, Vorschriften wie den Europäischen Barrierefreiheitsgesetz oder die WCAG-Standards einzuhalten, sondern darum, Barrierefreiheit in unser Denken über digitales Design zu integrieren.
Und wichtig: Ein barrierefreies Produkt garantiert nicht automatisch auch einen barrierefreien Service. Barrierefreiheit beginnt damit, sicherzustellen, dass der Service selbst inklusiv und für alle nutzbar ist – nur dann können wir Produkte entwickeln, die wirklich allen dienen.
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Runder Tisch: „Entfesseln Sie die Macht Ihrer digitalen Zugänglichkeit“
Die Diskussionsrunde „Entfesseln Sie die Kraft Ihrer digitalen Zugänglichkeit“ brachte ein Expertengremium zusammen: Monika Bachul (Content Product Owner bei STIB), Stefano Rigano (Produktleiter bei Odoo), Thijs Degheldere (Produktdesigner bei itsme®) und Arnaud Poffé (Lead UX/UI Designer & Accessibility Specialist bei UX-Republic), moderiert von Maude Van Rymenant (Leitender Produktdesigner bei UX-Republic).
„In Barrierefreiheit zu investieren, ist eine Investition in die Gesellschaft“, sagte Stefano Rigano. Der Website-Builder von Odoo bietet Nutzern zwar Flexibilität, kann aber auch Barrierefreiheitsprobleme verursachen. Um zu helfen, kennzeichnet die Plattform grundlegende Probleme wie fehlende H1-Tags. Wie Stefano jedoch anmerkte, lässt sich nicht alles automatisch erkennen – manche Aspekte erfordern mehr Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen.
Monika Bachul von Locals geführtes STIB's Schritt-für-Schritt-Ansatz. Sie konzentrieren sich während des gesamten Prozesses auf Barrierefreiheit: Teamschulungen, barrierefreie Designentscheidungen, direktes Feedback von Nutzern und sogar regelmäßige Tests mit einem sehbehinderten Nutzer. „Indem wir in jeder Phase ein wenig tun, wird es Teil der Kultur“, erklärte sie.
Für Arnaud Poffe ist Barrierefreiheit nicht optional oder wird erst später hinzugefügt. „Sie ist Standard“, betonte er. Er verwies auf drei wesentliche Elemente: Zusammenarbeit, eine gemeinsame Sprache und ein solides Designsystem. Wenn Barrierefreiheit von Anfang an integriert ist, müssen Teams nicht ständig nachbessern.
Inhaltlich betrachtete Monika die Herausforderung, mehrere Mitwirkende mit unterschiedlichen Schreibstilen zu betreuen. Um Klarheit zu gewährleisten, entwickelte ihr Team ein Content-Design-System mit Inhaltsrichtlinien wie „Stellen Sie sich vor, wir wenden uns an einen 14-Jährigen“ oder „Geben Sie klar an, wohin der Hyperlink führt“, anstatt vage Formulierungen wie „hier klicken“ zu verwenden.
Thijs wies auch auf die Herausforderungen hin, denen sich Entwickler gegenübersehen: das Testen mit verschiedenen unterstützenden Technologien und in realen Benutzerszenarien. Er betonte die Bedeutung eines gemeinsamen technischen Verständnisses und einer reibungslosen Zusammenarbeit innerhalb der Teams.
Er führte auch die Idee der „glokalen“ Barrierefreiheit ein – global denken und lokal handeln. „Einheitslösungen funktionieren nicht“, sagte er. Verschiedene Länder haben ihre eigenen Gesetze, ihre eigene digitale Reife und ihr eigenes Vertrauensniveau. Deshalb müssen inklusive Dienste mit einem starken Gespür für den lokalen Kontext gestaltet werden – etwas, das itsme als Teil seiner Designphilosophie verinnerlicht hat.
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Barrierefreiheit als Denkweise, nicht als Checkliste
Die Gespräche auf der UX-Conf Belgium 2025 machten eines deutlich: Barrierefreiheit ist nicht nur eine technische Anforderung oder ein rechtliches Häkchen – sie ist eine Denkweise, die auf Inklusion, Empathie und Verantwortung basiert. Von der Entwicklung mit Blick auf reale Nutzer bis hin zur Anpassung an lokale Gegebenheiten – die wirkungsvollsten digitalen Erlebnisse entstehen durch Teams, die Barrierefreiheit von Anfang an priorisieren. Wenn wir Barrierefreiheit nicht als nachträglichen Gedanken, sondern als zentrales Designprinzip betrachten, verbessern wir nicht nur Produkte – wir schaffen eine gerechtere digitale Welt für alle.
Aki Matsunaga, UX/UI-Designer und Produktdesigner bei UX-Republic